D. Hennings: Raumakustik in der Plusenergie-Schule Hohen Neuendorf

2. Die Unterrichtsräume

Planungsziele

Aus raumakustischer Sicht werden an Unter­richts­räume hohe Anforderungen gestellt. Primär geht es dabei um eine raumweit, also zwischen be­lie­bigen Sprecher- und Hörer-Positionen, sehr gute Sprach­verständlich­keit. Das bedeutet, die Über­tra­gungsqualität vom Sprecher zum Hörer muß hoch sein.

Da die Entfernungen zwischen Sprecher und Hör­er diagonal durch einen Klassenraum 10 m oder mehr betragen kann, kommt es auch darauf an, daß die Lautstärke mit der Entfernung vom Sprecher nur wenig abnimmt. Für Sprecher ist es außerdem wichtig, daß der Raum eine Rück­meld­ung der eigenen Sprache liefert, als Orientierung für eine dem Raum angemessene Sprech-Laut­stärke.

Solche Qualitäts-Anforderungen können in jeweils speziellen Meß-Größen formuliert werden. Diesen ist gemeinsam, daß sie in der Planung nicht leicht vorherberechnet werden können, sondern nur mit aufwendigen Verfahren wie Simulation oder Mes­sungen an Modellen bestimmt werden können.

Jedoch sind viele der wünschenswerten Eigen­schaften mehr oder weniger mit den Nachhall­zei­ten des Raums korreliert. Nachhallzeiten las­sen sich im Gegensatz zu anderen Maßen sehr ein­fach in guter Näherung vorherberechnen, je­den­falls bei geometrisch unkomplizierten Räumen.

Pragmatisch werden daher Nach­hallzeiten als 'Führungsgröße' in der raum­akustischen Planung ver­wendet. In der Raumakustik-Norm DIN 18041 sind dement­sprechend Nachhall­zeiten für ver­schie­dene Nutzungs­arten in Abhängigkeit von der Raum­größe empfohlen.

Grafik 2.1: Die in DIN 18041 volumen-abhängig für die Nutzungsart 'Unterricht' empfohlenen Nach­hall­zeiten. Markiert sind die resultierenden Wer­te für die Klassenräume und die Gruppen­räume.

In dieser Schule kommt es neben der rein raum­akustischen Optimierung besonders auf die Ver­träg­lichkeit mit der passiven Klimatisierung an. Die wichtigsten thermisch speich­ernden Bauteile sind die Betondecken, und deshalb sollen diese von Schallabsorbern frei gehalten werden - mit Aus­nahme eines schmalen Deckenkoffers, der für In­stallationen benötigt wird.

Die schallharte Decke wirkt sich auch günstig auf die 'Reichweite' der Sprache aus. Messungen in einem Klassenraum mit schallharter Decke haben gezeigt, daß dort der Schallpegel nur mit 3 dB pro Entfernungs-Verdopplung abnimmt, anstelle von 6 dB im freien Schallfeld.

Berechnungen und Simulation

Eine überschlägige Berechnung mit der Sabine­schen Formel zeigt, daß die Nachhallzeit eines 3.1 m hohen Raums, deren äquivalente Schall­absorbtionsfläche der Grundfläche entspricht, etwa 0.5 Sekunden beträgt.

Die nach DIN 18041 für die Klassenräume emp­fohlene Nach­hallzeit von 0.55 s erfordert dement­sprechend etwa 90% der Grundfläche als äqui­valente Schall­absorbtionsfläche. Realistischer bei gleicher Wirkung ist ein 90%-Absorber in Größe der Grund­fläche.

Die naheliegende Lösung, die Decke als Schallab­sorber auszuführen, ist mit der passiven Klimati­sierung nicht verträglich und damit hier ausge­schlossen. Die Böden sollen leicht zu reini­gen sein und deshalb mit Linoleum o.ä. belegt sein. Des weiteren ist die Fensterwand weit­gehend und die Wand zum Flur etwa zur Hälfte verglast.

Eine Bilanzierung der für akustische Bedämpfung verwendbaren Wandflächen im Vergleich zur er­forderlichen Absorberfläche ergibt, daß das Ziel einer Nachhallzeit von ca. 0.55 s erreicht werden kann, wenn nahezu alle verfügbaren Flächen mit hochwirksamen (90% absorbierenden) Breitband-Absorbern belegt werden. Darin geht auch ein, daß diverse Ausstattungs-Gegenstände in Schul­räumen schallabsorbierend wirken. Dies kann in der Planung nur mit einer sinnvollen Schätzung berücksichtigt werden, da die konkrete Ausstat­tung noch nicht bekannt ist.

Ausgehend von den überschlägigen Vorüberleg­ungen und Berechnungen wurde ein raumakusti­sches Simulationsmodell erstellt, in dem die Räu­me einschließlich typischer Unterrichts-Situation­en nachgebildet sind. In diesem Modell wurden verschiedene akustische Ausstattungs-Varianten simuliert und aus den Simulations-Ergebnissen Nach­hallzeiten sowie weitere raumakustische Qua­li­tätsmaße abgeleitet. Darüber hinaus wurden 'auralisierte', binaurale Hörproben hergestellt, mit denen die akustischen Raumeigenschaften bereits während der Planung direkt wahrnehmbar werden.

Grafik 2.2: Beispielhafte Nachhallzeiten aus der Simu­lation einer Variante des Klassenraums in den Szenarien Gruppenarbeit und Frontalunter­richt. Zu erken­nen ist auch, daß die Wirkung der Breit­band-Absorber an den Wän­den, die nicht mehr als 100 mm auftragen sollen, unterhalb 250 Hz nachläßt. Zum Vergleich die Emp­fehl­ungen ‘Unterricht’ (unten) und ‘Sprache’ (oben).

Grafik 2.3: Das Geometrie-Modell für die Simulation eines Klassentraktes bildet zwei Klassenräume,
die für verschiedene Unterrichtsformen eingerichtet sind, einen Gruppenraum und einen
Abschnitt des Flures nach. Die roten Kreise markieren Hörpositionen für die Auralisation.

Ergebnisse der Messungen vor Ort

Nach Inbetriebnahme der Schule erfolgten raum­akustische Messungen in eini­gen repräsentativen Räumen, wobei jede einzelne Messung einer Unterrichts-Situation entspricht.

Aus den mit einem gerichtet strahlenden Laut­sprecher und einem Kunstkopf-Mikrofon gemes­senen Raumimpulsantworten lassen sich sowohl Nachhallzeiten als auch diverse Maße für die Über­tragungsqualität ableiten. Letztere beziehen sich auf die jeweilige Übertragungsstrecke vom Sprecher (Lautsprecher) zum Hörer (Mikrofon).

Einige Messungen in einem Klassenraum konnten dank Unterstützung des in der Schule unterge­brachten Horts besonders realistisch auch im voll besetzten Raum erfolgen. Der Vergleich der Meß­ergebnisse vom besetzten und unbesetzten Raum ergab als Nebenergebnis die Absorptions-Eigen­schaften der Kinder (siehe Kapitel 'Projekt­über­greifendes').

Aus diesen Messungen abgeleitete Nachhallzeiten überscheiten zwar im unbesetzten Zustand das Toleranzfeld der DIN-Empfehlung geringfügig, soll­ten aber bei allen für den praktischen Schul­betrieb relevanten Besetzungen vollständig im emp­fohl­enen Bereich liegen.

Im halb so großen Gruppenraum überschreiten die Nachhallzeiten dagegen nicht nur unbesetzt, son­dern auch, wenn sie auf besetzten Zustand um­ge­rechnet sind, den hier um knapp 0.1 s niedriger lie­genden empfohlenen Bereich bei tiefen Fre­quen­zen. Der für den Klassenraum geltenden Empfehl­ung ent­sprechen die Werte jedoch.

Hier zeigt sich eine Grenze des oben beschrie­be­nen und in DIN 18041 implizit enthaltenen prag­matischen Vorgehens, in der Planung die Nach­hall­zeit als Führungsgröße für die raumakustische Qualität zu verwenden. Denn die Nachhallzeit ist auf dem sehr hohen Qualitätsniveau kaum noch mit der Übertragungsqualität korreliert.

Mehr Aufschluß über die Übertragungsqualität ein­zelner Sprecher-Hörer-Strecken liefern Maße, die die vom Raum bewirkte zeitliche Unschärfe des beim Hörer eintreffenden Sprachsignals beschrei­ben. Ein solches Maß, die Schwer­punkt­zeit, ist in der Grafik rechts unten aufgetragen. Je kleiner die Werte sind, umso besser ist die Übertragungs­qualität. Da bei der Messung der Hörer (das Kunstkopf-Mikrofon) nicht auf den Sprecher (den Lautsprecher) ausgerichtet war, ergab sich ein dem Sprecher zugewandtes Ohr und ein abge­wandtes Ohr.

Der größte Qualitäts-Unterschied besteht diesen Messungen zufolge jeweils zwischen zugewand­tem Ohr mit überwiegend sehr guter Übertragung und abgewandtem Ohr mit noch einigermaßen guter Übertragung. Der erkennbare Einfluß der Ent­fernung ist im Vergleich dazu eher gering. Die ebenfalls eingetragenen Meßwerte aus dem Klassenraum (punktiert) zeigen nur geringfügige Abweichungen zum Gruppenraum.

Diese Ergebnisse weisen darauf hin, daß offenbar der ungehinderte direkte Schallweg zum zuge­wandten Ohr zumindestens in diesem Fall die dominierende Voraussetzung für eine sehr gute Übertragungsqualität ist. Das abgewandte Ohr erhält nur um den Kopf gebeugten und dabei abge­schwächten 'Direktschall'. Die Einflüsse der Ent­fernung und der Nachhallzeit des Raums sind dagegen von eher untergeordneter Bedeutung.

Grafik 2.4: Messung im besetzten Klassenraum, in der Mitte das Kunstkopf-Mikrofon als 'Schüler'.

Grafik 2.5: Gemessene Nachhallzeiten eines Klas­sen­raums im unbesetzten und im maximal besetz­ten Zustand. Zum Vergleich die DIN- Emp­fehl­ung 'Unterricht' mit Toleranzfeld.

Grafik 2.6: Im unbesetzten Gruppenraum gemes­sene Nachhallzeiten sowie auf maximal besetz­ten Zustand umgerechnete Werte. Zum Ver­gleich die DIN-Empfehl­ung 'Unterricht' mit Tole­ranz­feld sowie die Obergrenze des Toleranz­fel­des für den Klassenraum.

Grafik 2.7: Im unbesetzten Gruppenraum gemes­sene Schwerpunktzeiten bei zwei verschie­den­en Hörer-Distanzen, jeweils für das zuge­wand­te und das abgewandte Ohr. Zum Vergleich zusätz­lich Meßwerte aus dem Klassenraum.


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